Der ARD-Zukunftsdialog
Worauf kommt‘s an bei der Moderation großer Online-Beteiligungen?
Die ARD hat im Frühjahr 2021 den ARD-Zukunftsdialog ins Leben gerufen. Zentrales Element: eine Online-Partizipation. Betreut von Zebralog.
Der Dialog hatte 15.262 Besucher*innen. Davon haben über 3.822 Menschen aktiv mitgemacht und insgesamt 14.601 Beiträge verfasst, darunter 3.761 Ideen und 10.840 Kommentare.
Alle Beiträge des Zukunftsdialolgs sind übrigens noch einsehbar. Zurzeit läuft die Auswertung. Eine Abschlusskonferenz ist für November 2021 geplant. Ich befrage eine der beiden Projektleiter*innen, Anne Gottwald, zu den Herausforderungen dieses Dialogs.
Hallo Anne, das Projekt „ARD-Zukunftsdialog“ habe ich ja tatsächlich aus dem Nebenraum beobachten können und war sehr beeindruckt von eurer Arbeit. Das Projekt ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber ich würde gerne schon mal mit dir über den Online-Dialog sprechen, der im Juni für 28 Tage lief. Wie bewertet euer Team die Beteiligung?
Das war in vielerlei Hinsicht spannend: Es handelt sich ja um die allererste Bürger*innenbeteiligung zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Senderverbunds. Eine Online-Beteiligung mit solch einer Tragweite zu konzipieren, umzusetzen, zu moderieren und auszuwerten, war für unser Team eine wichtige Erfahrung. Es war toll, die ARD so offen zu erleben. Und an etwas mitzuwirken, das diejenigen zu Wort kommen lässt, für die das Programm gemacht wird, nämlich die Bürger*innen. Deshalb hat es uns besonders gefreut, dass so viele mitgemacht haben und der Dialog gut angenommen wurde. Im Beteiligungsprozess so nah mitzubekommen, was die Menschen in Deutschland hinsichtlich der Weiterentwicklung der Angebote der ARD bewegt und zu erfahren, was ihre Ideen, Erwartungen, Wünsche und Kritik dazu sind, war sehr interessant.
Da waren sicherlich auch viele Emotionen im Spiel, oder?
Ja, das stimmt. Aber im Großen und Ganzen waren wir beeindruckt von der konstruktiven Gesprächsdynamik. Es gab viele konkrete Ideen und Verbesserungsvorschläge. Auch bei Meinungsunterschieden wurde überwiegend sachlich miteinander diskutiert, polemische Äußerungen waren in der Minderzahl. Hitzige Debatten gab es vor allem bei einzelnen Themen wie Gendern, Neutralität der ARD und Klimakrise.
Was macht ihr als Moderator*innen, wenn es hitzig wird?
In diesen Fällen wirken wir in der Online-Moderation darauf hin, den Austausch zu versachlichen. Dabei helfen uns die Dialogregeln, die auf der Plattform für jede*n einsehbar sind und an die wir immer wieder erinnern können. Alles in allem ist es bei diesem Dialog gelungen, allen Interessierten eine Plattform zu bieten, sich konstruktiv zu äußern und gemeinsam die Themen und Fragen der ARD weiterzudenken.
Der ARD-Zukunftsdialog war eine der größten Online-Beteiligungen, die Zebralog bisher durchgeführt hat: Was waren die Herausforderungen, einen Dialog dieser Größenordnung zu betreuen?
Die ARD verfügt ja über etliche Kanäle. Der Online-Dialog wurde medienübergreifend beworben und die Beteiligung auf der Plattform dadurch fortlaufend in Gang gehalten. So kamen im Zuge der verschiedenen Kommunikationskampagnen in regelmäßigen Wellen sehr viele Menschen gleichzeitig auf die Website. Die Fülle an neuen Ideen und Kommentaren, die uns phasenweise im Sekundentakt erreichte, hat uns vor allem in den allerersten Tagen sehr gefordert. Durch unser erfahrenes und eingespieltes Moderationsteam haben wir unsere internen Prozesse aber schnell den neuen Gegebenheiten anpassen können und unsere Moderationskapazitäten in heißen Phasen erhöht.
Neben der Fülle der Beiträge waren es die provozierenden Beiträge einzelner Personen, die uns herausgefordert haben. Man merkte deutlich, dass sie Erfahrung damit haben, in Online-Foren ihre Meinung kundzutun und das Machbare so auszureizen, dass sie nicht belangt werden können. Meistens hatten ihre Ideen und Kommentare nicht mehr viel mit dem eigentlichen Dialogthema zu tun. Das erforderte von unseren Moderator*innen, sie immer wieder auf die eigentlichen Dialogthemen hinzuweisen und an die Dialogregeln zu erinnern. Das ist natürlich mühsam und zeitintensiv. Aber wie gesagt: Da helfen Erfahrungen und ein gut eingespieltes Team.
Was hat euch bei der Durchführung der Online-Moderation geholfen?
Zum einen der klare Aufbau der Seite in Themenräume. Die Nutzer*innen hatten die Wahl, sich in sieben verschiedenen Themenbereichen zu Wort zu melden. Bei der Abgabe eines Beitrags mussten sie sich zudem für eine thematische Kategorie entscheiden, die sie ihrem Beitrag zuordnen. Die Kategorien brachten eine weitere Strukturierung mit sich. Die Besucher*innen bekamen so einen schnellen Überblick über das thematische Spektrum und die eingereichten Ideen. Über eine Suche konnten die Ideen außerdem nach Kategorien gefiltert werden.
Geholfen hat uns auch die klare Rollen- und Aufgabenverteilung und die gute Zusammenarbeit im Moderationsteam. Die Abläufe mussten Hand in Hand gehen. Es kam drauf an, sehr konzentriert und zügig zu arbeiten. Wir haben auf gute Schichtübergaben geachtet und ein ordentlich gepflegtes Übergabeprotokoll.
Und natürlich war unser gut entwickeltes Moderationstool das A und O, das in diesem Online-Dialog noch einmal auf Herz und Nieren geprüft wurde. Der direkte Draht zu den Entwickler*innen hat zudem geholfen, wenn es einmal irgendwo technisch hakte.
Wir arbeiten ja mit unserer Online-Beteiligungs-Software, der Dialogzentrale. Kannst du nochmal für all jene, die nicht täglich mit ihr arbeiten, erklären, wie eine Online-Moderation mit der Dialogzentrale genau abläuft?
Klar, gerne. Ein wichtiges Prinzip unserer Moderation lautet, dass alle eingehenden Beiträge auch moderiert werden. Das heißt: Alle auf der Plattform eingehenden Beiträge und Kommentare werden von der Moderation gelesen und auf unsere öffentlich einsehbaren Dialogregeln hin geprüft. Wenn ein Beitrag dagegen verstößt, wird er von der Moderation kommentiert und in dem Kommentar auf die Dialogregeln verwiesen. Dabei kategorisieren wir die Beiträge je nach Schwere des Regelverstoßes ein. Leichte Verstöße werden kommentiert, und wir verweisen auf die Dialogregeln. Bei mittleren Verstößen setzen wir die Beiträge auf unveröffentlicht und schreiben der/die Nutzer*in mit der Bitte an, den Beitrag umzuformulieren. Wenn ein/e Nutzer*in sich mehrfach nicht an die Regeln hält oder schwerwiegend gegen die Regeln verstößt, kann der/die Nutzer*in gesperrt werden. Dieser Fall tritt aber sehr selten ein. Die meisten Teilnehmer*innen sind tatsächlich an einem konstruktiven Dialog interessiert. Und Kritik ist ja durchaus gewünscht, solange sie sachlich und respektvoll vorgebracht wird. Manchmal geben wir als Moderation auch allgemeine Hinweise in den Dialog, wenn sich die Diskussion in den Kommentaren beispielsweise zu weit vom eigentlichen Dialogthema wegbewegt.
Im ARD-Zukunftsdialog war es so, dass Ideen und Kommentare in den Moderationszeiten direkt veröffentlicht wurden. Beiträge und Kommentare, die über Nacht eingingen, erschienen vorerst nicht auf der Plattform und wurden dann morgens von der ersten Moderationsschicht nachträglich veröffentlicht.
Und dann gibt es ja auch noch die Moderationsschnittstelle…
Genau. Im Backend haben wir eine Moderationsschnittstelle, über die wir alle Beiträge und Kommentare in einer Liste sehen und Moderationsstati vergeben können. Wenn ein Beitrag beispielsweise von der Moderation gelesen, geprüft und abgenommen wurde, wird dieser mit dem Moderationsstatus „von Moderation gelesen“ gekennzeichnet. So gibt es weitere Labels wie „von Moderation kommentiert“ oder „gesperrt (Regelverstoß)“. Außerdem kann man in einem internen Moderationsprotokoll Hinweise für die anderen Moderator*innen hinterlassen, aus welchen Gründen man z.B. einen Beitrag kommentiert hat. Über die Schnittstelle ist es außerdem möglich, Beiträge gebündelt auf unveröffentlicht zu setzen. Wir löschen Beiträge nie von den Plattformen, wie stellen sie nur auf unveröffentlicht. So kann man im Nachgang noch genau nachvollziehen, welche Beiträge nicht den Dialogregeln entsprachen und aufgrund dessen nicht sichtbar gemacht wurden. Transparenz ist ein ganz wichtiges Qualitätskriterium der Moderation.
Die Moderationsschnittstelle ermöglicht allen beteiligten Moderator*innen den Überblick über den laufenden Dialog zu behalten. So können wir schnell eine hohe Anzahl an eingehenden Beiträgen und Kommentaren sichten, prüfen und bearbeiten.
Über den sogenannten Moderationsschalter wird je nach Wunsch der Auftraggeber*innen festgelegt, ob Beiträge direkt nach Abgabe auf der Plattform zu sehen sein sollen (Postmoderation) oder erst nach Prüfung durch die Moderation auf veröffentlicht gestellt werden soll (Prämoderation).
Du hast von den kritischen Kommentaren an der Grenze der Dialogregeln berichtet. Hier ist bestimmt auch hilfreich, dass jede*r Moderator*in sich mit der Leitmoderation abstimmen kann. Was hat es mit dieser Rolle genau auf sich und wie seid ihr vorgegangen?
Wir haben immer eine Leitmoderation, die das Moderationsteam koordiniert, die als Ansprechpartner*in da ist und die Moderator*innen in schwierigen Fällen berät. Manchmal ist es nicht so einfach einzuschätzen, wie stark der Regelverstoß eines Beitrags war und es gibt unterschiedliche Perspektiven. In solchen Situationen moderieren wir in der Regel nach dem Vier-Augen-Prinzip oder diskutieren einzelne Beiträge und den Umgang damit auch mal in der Gruppe. Das hat sich sehr bewährt.
Außerdem machen wir vor Beteiligungsstart immer ein ausführliches Moderationsbriefing, in dem wir auch die Moderationsstrategie besprechen. Alle Moderator*innen sind so auf dem gleichen Stand, die Moderation bekommt so eine einheitliche Linie.
Neben der Prüfung kritischer Beiträge, beobachtet die Leitmoderation gemeinsam mit dem Moderationsteam auffällige Nutzer*innen, verwarnt sie gegebenenfalls oder – als ultima ratio – sperrt sie, wenn es einen mehrfachen Regelverstoß gibt. Ansonsten steht die Leitmoderation im Austausch mit dem/der Auftraggeber*in und informiert diese/n über mögliche Auffälligkeiten im Dialog oder bespricht sich mit dieser/diesem zu Entscheidungen in kritischen Fällen.
Gibt es noch weitere Funktionen der Dialogzentrale, die du als besonders hilfreich erlebt hast?
Ja, auf der Dialogzentrale des ARD-Zukunftsdialog gab es ein paar neue Features. Zum Beispiel hat die ARD im Dialog stellenweise aktiv mitdiskutiert. Es gab in den Themenräumen des Onlinedialogs jeweils zwei Mitarbeiter*innen der ARD, die als “Themenpat*innen” auf der Plattform präsentiert wurden. Sie haben in regelmäßigen Abständen Zukunftsideen aus dem Onlinedialog ausgewählt und dazu eine weiterführende Diskussion angeregt. Die ARD-Themenpat*innen haben auch einzelne Ideen von Bürger*innen kommentiert. Diese Kommentare haben wir dann mit einem Badge “ARD-Themenpat*in” gekennzeichnet. So war für die Nutzer*innen auf einen Blick sichtbar, dass hier ARD-Mitarbeiter*in geantwortet haben. Die Themenpat*innen haben aber auch an Live-Diskussionsrunden teilgenommen und dort Zukunftsideen aus dem Onlinedialog aufgegriffen. Das hat den Dialog zusätzlich angereichert.
Wir könnten sicherlich noch lange weitersprechen. Für heute aber erstmal vielen Dank, liebe Anne!
Zum Projektabschluss werden wir sicherlich noch mehr zu berichten haben.
Das Interview führte Anne Gröger.