Wie Bürger*innen zu Gemeinwohl-Checker*innen werden.

Erfahrungen aus dem Wuppertaler Bürgerbudget

Gemeinwohl

„150.000 Euro für Deine Ideen“,

so lautet der Slogan des Bürgerbudgets Wuppertal. Das ist ein Pilotprojekt zur Verbesserung von IT-gestützten Bürgerhaushaltsverfahren, das Zebralog als Projektpartner im Rahmen des EU-Projektes EMPATIA begleitet.

Im Mai 2017 hatten die Wuppertaler*innen ihre Projektideen online und telefonisch einreichen können. Maximal 50.000 Euro sollten sie kosten, innerhalb der nächsten zwei Jahre umgesetzt werden können und sich im Handlungsspielraum der Stadt befinden. 266 kreative, vielfältige und bunte Projektideen sind insgesamt eingegangen, die 100 meistbewerteten Projektideen wurden in der Bürgerwerkstatt einem „Gemeinwohlcheck“ unterzogen. Das Ziel: Sich nicht ausschließlich auf eine Online-Bewertung verlassen, die oftmals Ideen von Vereinen und gut vernetzten Bürger*innen bevorzugt. Stattdessen gezielt die Bürger*innen ermuntern, die Perspektive zu wechseln und nicht nur die eigenen Interessen sondern vor allem das Gemeinwohl als Bewertungsgrundlage in den Vordergrund zu stellen. Am Ende sollten aus den 100 Projektideen die 30 Projektideen mit dem meisten Mehrwert für Wuppertal ausgewählt werden. Danach sollten diese Ideen von der Fachverwaltung auf ihre Umsetzbarkeit geprüft und im Herbst 2017 zu einer Schlussabstimmung freigegeben werden. 

Gemeinwohl

 

Neuland betreten: Der Gemeinwohlcheck

Doch die Ermittlung eines Werts für „Gemeinwohl“ ist in der Beteiligungspraxis Neuland. Dazu hat sich Zebralog zusammen mit der Stabsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Wuppertal eine neue Methode ausgedacht: Einen systematischen „Gemeinwohlcheck“ der Projektideen. 
Aber was bedeutet eigentlich „Gemeinwohl“ und nach welchen „Kriterien“ sollten die Bürger*innen die Ideen „checken“? Und welchen Nutzen bringt so ein Gemeinwohlcheck für Bürgerbeteiligungen?

Was ist „Gemeinwohl“ und wie kann es gemessen werden?

Beginnen wir also zunächst mit der scheinbar einfachen Frage: Was ist das Gemeinwohl? Ganz intuitiv lässt sich dieser Begriff vermeintlich schnell erklären: Wird man nicht nur aus Eigeninteresse oder aus Interesse einer bestimmten Gruppe heraus aktiv, sondern nützt damit der Gemeinschaft, dann steuert man etwas zum Gemeinwohl bei. Dabei übersieht man allerdings schnell, wie kontrovers der Begriff sein kann. Denn wer definiert, was genau dem Wohl der Gemeinschaft dient? Und ist es in einer pluralistischen Gesellschaft überhaupt möglich, Kriterien aufzustellen, die tatsächlich „alle“ mit einschließen? Wer sind diese „alle“ überhaupt? So wird sehr schnell deutlich, dass man sich umfassender mit einem Messsystem für Gemeinwohl beschäftigen muss.

Das Transzent-Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit in Wuppertal betrachtet das Gemeinwohl als das „Gute Leben“. Im Forschungsprojekt Wohlstands-Transformation-Wuppertal will das Institut ein Wohlstandsindikatorensystem unter Einbeziehung der städtischen Bevölkerung entwickeln. Aus Workshops und Befragung von Bürger*innen leitete Transzent zwölf Dimensionen des guten Lebens ab. Dazu gehören neben Einkommen, Arbeit, Wohnen und Infrastruktur beispielsweise auch Sicherheit, Bildung, Gemeinschaft und Zufriedenheit. Städtische Entscheidungen und Stadtentwicklungsprojekte sollen sich zukünftig an diesen Dimensionen ausrichten.  Wohlstand und Lebensqualität können so ganzheitlich gedacht und gemessen werden. Doch wie geht das nun in der Praxis? 

Der „Gemeinwohlcheck“ in Aktion 

Am 7. Juni 2017 wurden rund 170 Bürger*innen bei der Bürgerwerkstatt tatsächlich zu „Gemeinwoh-Checkern“. Nach einem kurzen Impulsvortrag erläuterten Verteter*innen von Transzent die zwölf Dimensionen des Gemeinwohls. Im Anschluss sollten dann die anwesenden Bürger*innen die eingereichten Ideen aus der Perspektive des meisten Mehrwertes für die Stadt Wuppertal bewerten. In vier Runden verglichen an 20 Tischen jeweils fünf bis acht Bürger*innen pro Runde fünf Ideen miteinander und bewerteten sie mit Blick auf das Gemeinwohl mit Punkten von 1 bis 5. Dabei entsprach 1 dem niedrigsten und 5 dem höchsten Mehrwert für das Gemeinwohl. Mittels einer zuvor festgelegten zufälligen Zusammenstellung von Projektideen wurde sichergestellt, dass jede Idee genau vier Mal bewertet wurde. Nach jeder Runde wurden die Bewertungsergebnisse an allen 20 Tischen eingesammelt und parallel zur nächsten Runde von Mitarbeitern der Verwaltung per Exceltabelle ausgewertet. So stand am Ende ein Ranking der Ideen mit den meisten Gemeinwohlpunkten. 

Experiment gelungen, Egoismus bezwungen

Auch für Zebralog war dieser Gemeinwohlcheck ein Experiment. So, war es für die Zebras vor Ort spannend mitzuerleben, wie sich die Bürger*innen als „Gemeinwohlchecker“ schlagen würden. Dabei erarbeitete sich sich jede Gruppe ihr eigenes System: Während sich die einen eng an den Gemeinwohlkriterien des Wuppertal Instituts orientierten, diskutierten andere Gruppen eher frei. Erstaunlich gut konnten sich die Bürger*innen von ihren eigenen Perspektiven lösen und Ideen im Sinne des Gemeinwohles für Wuppertal bewerten. Dies zeigte sich vor allem darin, dass Ideen, die in der ersten Online-Abstimmung die meisten „Likes“ hatten, nicht die Ideen waren, die nach dem Gemeinwohlcheck ganz oben standen. Die Idee mit den meisten Online-„Likes“ war sogar überhaupt nicht mehr in den TOP 30 vertreten. Besonders interessant war zu beobachten, wie sich die zahlreich anwesenden Ideengeber ihre eigenen Ideen bewerten würden, nachdem sie diese nun aus der Gemeinwohl-Perspektive einschätzen sollten. „Ich habe selbst eine Projektidee eingereicht, aber am Ende einer anderen Idee mehr Punkte gegeben, weil ich fand, dass die Idee mehr zum Gemeinwohl beiträgt als meine eigene“, erzählte so zum Beispiel ein Teilnehmer der Wuppertaler Bürgerwerkstatt.

Der Gemeinwohlcheck in Wuppertal hat gezeigt, dass das Gemeinwohl als eine Bewertungsebene für das gesellschaftliche Wohl als sehr bereichernde Methode in einer Bürgerbeteiligung genutzt werden kann. Im Gegensatz zu einer häufigen Kritik, dass Bürger*innen bei Bürgerbeteiligungen vorrangig ihre eignen Interessen im Kopf hätten, hat der Gemeinwohlcheck in Wuppertal gezeigt, dass  Bürger*innen sehr wohl Projektideen auch aus Perspektive der Gemeinschaft bewerten können. 

 Dieser Beitrag wurde von Johanna Vogel, Michelle Ruesch und Sabrina Weber verfasst.

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