Ein Phantom bei einer Beteiligungsveranstaltung?!
Kommentar von Michelle Ruesch
So eine bunte, vielfältige Bürgerbeteiligungsveranstaltung habe ich selten erlebt: Bei der Wahlparty des Bürgerbudgets Wuppertal hatten die Initiator*innen der 32 TOP Projektideen die Gelegenheit, ihre Ideen zu präsentieren. Und die haben sie auch genutzt: Da waren Menschen mit Bauchläden und Zylindern (die ihre Projektidee "Kunst-Kiosk" beworben haben), ein Phantom der Oper sowie mehrere Prinzessinnen (Projektinitiator*innen der Idee "Musicals für den guten Zweck"), Kinder und ihre Eltern (Verfechter*innen für einen neuen Spielplatz), Jugendliche, die sich für eine Outdoor-Fitness-Anlage (WupperFit) stark machen, Student*innen, die sich für ein Kulturfest einsetzen. Und die, die sowieso immer sehr engagiert bei Bürgerbeteiligungen mitmachen, haben natürlich auch nicht gefehlt.
Das ist eine Mischung von Menschen, die sich viele Kommunen bei ihren Bürgerbeteiligungen – insbesondere bei Bürgerhaushalten – sehnlichst wünschen. Was hat Wuppertal richtig gemacht?
150.000 € für Projektideen
Es ist schon interessant, wie sich ein tröger Bürgerhaushalt verändert, wenn die Menschen am Ende selbst entscheiden dürfen. Das Bürgerbudget Wuppertal ist ein Experiment, das mit Unterstützung des EU-Projektes EMPATIA gewagt wird. Bereits mehrfach hat Wuppertal Versuche gestartet, die Bürgerinnen und Bürger am Haushalt zu beteiligen. Wie auch in vielen anderen Kommunen der Fall, mussten am Ende allerdings viele Bürgervorschläge vom Rat abgelehnt werden. Zu teuer, nicht in städtischer Hand, widerspricht einem anderen Beschluss oder gesetzlichen Vorschriften… Dies waren einige der Begründungen. Nicht nur bei den Bürger*innen hat das zu Frust geführt; auch für Politik und Verwaltung ist es wenig zufriedenstellend, sich die Mühe zu machen, viele Vorschläge zu prüfen und bei jedem Zweiten ‚Nein‘ sagen zu müssen.
Der große Unterschied in diesem Jahr: Es wurde ein konkretes Budget von 150.000 € ausgelobt. Die „Schere“ der Verwaltung, also die detaillierte Prüfung der Ideen auf Kosten und Machbarkeit, wurde vor der finalen Abstimmung angesetzt. Der Prozess ist derart gestaltet, dass die Bürger*innen dazu ermächtigt werden, am Ende selbst die TOP Projektideen zu wählen, die dann auch wirklich umgesetzt werden. Der Beteiligungsspielraum ist damit klar abgesteckt. 150.000 € sind kein Riesenbudget, aber es reicht, um zu testen ob ein Bürgerhaushalt dieser Art sich hierzulande bewährt.
Bürgerhaushalt wird zu Bürgerbudget
Es sind aber auch die kleinen, feinen Dinge, die eine Bürgerbeteiligung wie das Bürgerbudget Wuppertal ansprechend machen. Die Wortwahl kann durchaus einen Unterschied machen. Woran denken die Menschen, wenn sie das Wort „Bürgerhaushalt“ hören? Eine kleine nicht-repräsentative Umfrage in meinem eigenen Umfeld hat vor allem eines ergeben: Das Wort „Bürgerhaushalt“ ist nicht ‚sexy‘. Viele können sich darunter auch nichts vorstellen. Nun mag „Bürgerbudget“ auch noch nicht der perfekte Titel sein – wahrscheinlich lässt sich ein noch motivierenderer (und gendergerechterer) Titel finden. Aber: Es ist zumindest direkt klar, dass es hier wohl um Geld geht, und nicht um Aufräumen.
„Mach‘ mit!“ statt „Machen Sie mit!“
Kontrovers diskutiert wird beim Bürgerbudget Wuppertal der Fakt, dass die Teilnehmenden auf der Online-Plattform und in der Kampagne geduzt werden. Dies war eine bewusste Entscheidung, um auch jüngere Zielgruppen anzusprechen. Und diese erreicht man eher, wenn man auch ihre Sprache spricht. Die Frage, ob gesiezt oder geduzt werden soll, begegnet mir immer wieder in Beteiligungsverfahren und sie ist nicht einfach zu beantworten. Klar ist: Eine Sprache, die alle gleichermaßen anspricht, gibt es nicht. Daher ist es auch wenig sinnvoll, als Zielgruppe einer Bürgerbeteiligung „alle Bürgerinnen und Bürger“ zu definieren. Für die Öffentlichkeitsarbeit und Ansprache müssen Prioritäten gesetzt und besonders wichtige Zielgruppen definiert werden. Das wurde in Wuppertal gemacht – und hat sich zumindest mit Blick auf die bisherige Diversität der Teilnehmenden auch ausgezahlt.
Kampagne mit Film und Facebook
Apropos Öffentlichkeitsarbeit: Da macht die Stabsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Wuppertal wirklich einen klasse Job. Neben den konventionellen Wegen der Öffentlichkeitsarbeit – Postkarten und Flyer sowie intensive Presse- und Medienarbeit – setzt das Team vor allem auf Facebook. Auf www.facebook.com/Buergerbudget.Wuppertal findet man regelmäßig Posts mit Neuigkeiten und ansprechenden Bildern. Im Sommer wurde jeden Tag eines der TOP-Projekte kurz vorgestellt. Darüber hinaus veröffentlicht das Team der Stabsstelle immer mal wieder kleine, anschauliche Videos, zum Beispiel mit einer Wegbeschreibung zum Rathaus. Große Unterstützung in Sachen Videos hat das Projektteam auch von der Jugendmediengruppe Younect erhalten, die eine Reihe von kurzen „Frag‘ den Kämmerer“-Videos sowie einen tollen Werbespot gedreht haben:
Gemeinsam feiern
Was mir oft bei Bürgerbeteiligungen auffälllt: Das Feiern wird vergessen. Damit meine ich sowohl das ausgelassene miteinander Anstoßen als auch das gemeinsame Wertschätzen und Evaluieren (siehe auch die vier Phasen der Methode Dragon Dreaming). Der Fokus liegt hier auf gemeinsam. Bei vielen Bürgerhaushalten in Deutschland ist ein gemeinsames Feiern gar nicht möglich, denn die Bürgerhaushalte laufen überwiegend online. Gleichzeitig ist ein immer wieder gewünschtes Ziel, mehr Verständnis für die Arbeit der Verwaltung zu schaffen. Dazu braucht es Momente des Dialoges vor Ort. Beim Bürgerbudget Wuppertal wurde unter anderem deshalb ein besonderer Fokus auf die Verknüpfung von Vor-Ort- und Online-Beteiligung gelegt. Bei einer Bürgerwerkstatt im Juni sowie bei der Wahlparty im September waren immer auch Mitarbeiter*innen der Verwaltung zugegen. Das hat zum einen eine direkte Rechenschaft ermöglicht. Projektinitiator*innen, deren Idee die Detailprüfung nicht bestanden hat, konnten Nachfragen zu den online veröffentlichten Erläuterungen stellen und so ins direkte Gespräch über die Gründe kommen. Gleichzeitig haben die Veranstaltungen die Projektinitiator*innen dazu ermächtigt, ihre Projektideen öffentlich zu präsentieren und zu bewerben. Viele der Initiator*innen haben nach der Wahlparty Flyer mitgenommen, um diese in ihren Kreisen zu verteilen – und so Werbung nicht nur für ihre Idee sondern für das gesamte Projekt zu machen.
Abstimmung mit „Wahl-Charakter“
Neu im Bürgerbudget Wuppertal ist auch die Art der Abstimmung: Sie ist geheim, das heißt, die Anzahl der Stimmen je Projektidee werden erst nach Ende der Wahl veröffentlicht. Es können auch nicht unendlich viele Stimmen vergeben werden sondern maximal fünf Stimmen pro Person. Um online abstimmen zu können, muss man sich zunächst per SMS verifizieren. Diejenigen, die kein Handy haben, können die Verifizierung per Anruf (auf Festnetz) vornehmen lassen. Die Verifizierung per SMS ist auch für Zebralog neu. Ziel ist es, die SMS-Verifizierung als neue Methode in der Bürgerbeteiligung zu testen, mit dem Ziel das Risiko von Mehrfachabstimmungen zu reduzieren. Ganz ausschließen lässt sich diese Gefahr natürlich nie, aber Ausweisnummern einzusammeln und mit dem Einwohnermelderegister abzugleichen (so wird es in anderen Ländern gemacht), kam für uns nicht in Frage (siehe auch meinen Artikel "Making the Case for Anonymity in E-Participation"). Gleichzeitig wird als eines der Hauptargumente gegen direktdemokratische Online-Bürgerbeteiligung wie das Bürgerbudget oftmals die Manipulationsgefahr angeführt. Hierfür gilt es in Deutschland noch Lösungen zu finden. Die Notwenigkeit, seine Handynummer anzugeben, schreckt sicherlich einige Bürger*innen ab. Dennoch haben innerhalb der ersten 12 Tage der Abstimmung bereits über 800 Personen teilgenommen. Inwieweit die SMS-Verifizierung sich also bewähren wird, bleibt noch abzuwarten.
Abzuwarten bleibt auch, welche Ergebnisse die finale Abstimmung wohl mit sich bringen wird. Noch bis zum 5. Oktober können die Wuppertaler*innen online wählen. Die Gewinner-Projekte werden in den Tagen danach auf der Website veröffentlicht. Es bleibt also spannend.
Weitere Fotos der Wahlparty: EMPATIA-Facebook-Fotoalbum