Jede*r muss mal
Warum der Berliner Toilettendialog die Zebras euphorisierte.
Ein Interview mit Britta Letz
Im August 2017 hat der Berliner Senat das von Regine Günther (Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz) vorgelegte Toilettenkonzept beschlossen. Es wurde von TSPA in Zusammenarbeit mit Zebralog und der TU Berlin erarbeitet.Bis März 2018 läuft nun die europaweite Ausschreibung für die Beschaffung, Errichtung und Betrieb der Toilettenanlagen. Wie der Beteiligungsprozess dazu lief und warum der Dialog unser Projektteam so begeisterte, ist im Interview mit Zebra Britta Letz zu lesen.
Liebe Britta, laut eigener Aussage gehört der sogenannte Berliner „Toilettendialog“ zu einem deiner Lieblingsprojekte bei Zebralog - wieso?
Zunächst weil das Thema sehr konkret ist und es wirklich alle betrifft. Jede*r „muss mal“. Eine öffentliche Toilette ist für die Teilhabe vieler Menschen am öffentlichen Leben wesentlich. Vielleicht ist es auf den ersten Blick kein Thema, wozu man sich als „Durchschnittsmensch“ viele Gedanken macht. Aber eine barrierefreie und gut zugängliche Toilette ist beispielsweise für viele Menschen mit Behinderungen eine Grundvoraussetzung, um sich in der Stadt frei bewegen zu können.
Zum anderen hat mir das Projekt Bodenhaftung gegeben, weil wir viele Interviews „draußen“ geführt haben. Wir sind an wichtige Berliner Orte gegangen, wie dem Hygienecenter am Bahnhof Zoo. Wir haben mit Initiativen und öffentlichen Stellen gesprochen, die sonst nicht so in unserem klassischen Beteiligungsspektrum liegen, unter anderem der Fixpunkt e.V. oder die Kriminalprävention des Bezirksamts Mitte.
© troismarteaux via flickr.com
Das Thema „Öffentliche Toiletten“ hat so viele Facetten, wenn man sich damit befasst, wie eine Toilette ausgestattet oder an welchem Ort diese aufgestellt werden sollte. Inklusion ist hier das Stichwort. Und damit sind nicht nur Menschen mit Behinderungen gemeint. Für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen muss die Toilette natürlich barrierefrei sein. Darüberhinaus fühlen sich womöglich Frauen bei schlecht einsehbaren Toiletten mit geringer Außenbeleuchtung unsicherer als andere. Ältere Personen brauche eine einfache Handhabung zur Verriegelung mit wenig Schnickschnack. Dann stellt sich auch die Frage nach einer diskriminierungsfreien Toilette für alle Geschlechter – und: 50 Cent oder kostenfrei für Alle?
Nicht zuletzt sei natürlich erwähnt, dass die Zusammenarbeit mit unserem Projektpartner Thomas Stellmach Planning und Architecture (TSPA) eine wirklich harmonische und beteiligungseuphorische Zeit war. Wir waren ein geladenes Projektteam aus Fachexpertise und Beteiligungserfahrung!
Aber was hat das Konzept für öffentliche Toiletten denn überhaupt mit Bürgerbeteiligung zu tun?
Wer sind denn die Menschen, die Toiletten nutzen? Das sind die Bürger*innen! Das sind Menschen, die Berlin besuchen und die hier für längere oder kürzere Zeit leben. Wie eine öffentliche Toilette gestaltet ist, zeigt wie inklusiv eine Toilette und auch eine Stadt ist. Und dazu muss man erst mal die unterschiedlichen Stimmen einfangen und herausfinden, welche Anforderungen die Menschen an Toiletten haben.
Neben Verbänden und Initiativen waren natürlich auch die Berliner Bezirke und die Verwaltungen wichtig für das Konzept. Diese haben ihr Ohr an den Menschen und das lokale Wissen in den Bezirken. In welcher Grünanlage fehlen Toiletten? Wo sind Toiletten besonders beschädigt? Wo wird viel wild uriniert? Wir waren angetan von dem Engagement der Bezirksvertretungen zu diesem Thema. Es gab dann mehrere Runden mit Vertreter*innen aus Bezirksverwaltungen. Außerdem haben wir mit einer Projektplattform über die einzelnen Schritte des Konzeptes informiert.
Was waren die Themen, die dich im Dialog besonders überrascht haben?
Dass Toiletten für bestimmte Personengruppen ein geschützter Raum sein müssen, z.B. für Menschen ohne Obdach oder Menschen mit Drogenabhängigkeiten. So ist es wichtig, dass es Waschgelegenheiten und Behälter für eine sichere Spritzenentsorgung geben muss, damit die Toiletten nicht verstopfen.
Spannend waren auch die Beispiele guter Praxis aus anderen Städten, die unser Partner TSPA analysiert hat. Das „Zertifizierungsprogramm“ der „Netten Toilette“ fand ich super. Gastronom*innen erlauben damit auch Nicht-Kund*innen ihrem Bedürfnis nachzukommen, ohne etwas kaufen zu müssen. Von der jeweiligen Kommune erhalten die Gastronomiebetriebe dafür eine finanzielle Unterstützung für die Pflege und Wartung der Toiletten.
Du hast jetzt sehr viel Positives berichtet, was hättest du dir beim Projekt anders gewünscht?
Kein Projekt ist perfekt. Jedoch gab es bei diesem Projekt einen sehr engen Zeitplan. Innerhalb eines halben Jahres wurden alle öffentlichen Toiletten in Berlin besichtigt und katalogisiert, Interviews geführt, Best Practices ausgewählt und analysiert, Tourismusdaten und Besucherzahlen ausgewertet, Vorschläge für Standorte erarbeitet, Daten abgeglichen, Karten erstellt, Finanzierungsmodelle errechnet, Betreiber recherchiert und noch viel mehr.
So mussten sehr viele Dinge parallel laufen. Hätte man mehr Zeit gehabt, man hätte sicherlich noch einen größeren Personenkreis umfassender beteiligen können und damit stärker in die Tiefe einzelner Aspekte einsteigen können. Aber in der Kürze der Zeit wurde wirklich viel herausgefunden!
Was wünscht du dir persönlich für die Umsetzung des Konzeptes?
Dass die Hinweise aus der Beteiligung ernst genommen werden und das Engagement der vielen Mitarbeiter*innen aus den Initiativen, Beiräten und der Verwaltung gewürdigt wird. Einige Themen konnten bisher nur angerissen werden. Da steckt noch sehr viel Potential drin, z.B. bei Themen wie „Die Toilette für alle“ oder einer Kommunikations- und Öffentlichkeitskampagne zum Thema Wildpinkeln. Außerdem würde ich mir persönlich wünschen, dass nochmal darüber nachgedacht wird, öffentliche Toiletten für Alle kostenlos zu machen.
Zu guter "Letz": Es scheint, als sei das Thema aktueller denn je. New York schreibt jetzt Wickeltische auf Männertoiletten vor. Hast Du für unsere Leser*innen Tipps, um in das Thema stärker einzusteigen?
Sehr gerne. Alle Infos zum Toilettenkonzept gibt es bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Auch der Tagesspiegel berichtete über Aspekte des Toilettenkonzepts. Ich empfehle dazu noch die Seiten gratispinkeln.de und zur "Netten Toilette".
Danke für das Gespräch! In diesem Sinne: „TOI TOI TOI!“
Interview: Katja Fitschen
Redaktion: Jan Korte